Mein auf dieser Seite veröffentlichter Blog soll die Berichte in der BNN ergänzen. Es wäre also super, wenn ihr auch die lesen würdet…

Yaoundé liegt nicht direkt an der von uns geplanten Küstenstrecke. Trotzdem müssen wir dort vorbei, weil wir noch kein Visum für Gabun haben. Auch die Botschaft für die Republik Kongo und die Botschaft von Äquatorialguinea wollen wir besuchen.
Wohnen dürfen wir in Yaoundé in Rodolphes Haus, das heißt bei seiner Mutter und den anderen (Familien-?) Mitgliedern in diesem Haus. (In Afrika leben sehr häufig ziemlich viele Menschen in einem Haus mit. Es ist nicht immer genau zuzuordnen, warum sie da sind, bzw. welche Funktion sie haben.) Rodolphes Mutter ist eine sehr herzliche aber auch direkte Frau. Und sie ist schließlich der Tropfen, der unser Krisenfass zum Überlaufen bringt.
Unser Ziel auf dieser Reise ist es, viele Menschen und deren Kultur und Lebensweise kennenzulernen. Das heißt, wir übernachten nicht in Hotels und auf Campingplätzen und wir suchen uns im Busch kein einsames Plätzchen wie andere Overlander. Immer versuchen wir bei Einheimischen unterzukommen: Sei es beim Dorfchef auf dem Land oder bei Freunden, Bekannten oder ganz Unbekannten in der Stadt. Das heißt auf der einen Seite: afrikanisches Leben pur, wir kriegen sehr viel von der Kultur mit, sind sozusagen hautnah dabei. Auf der anderen Seite heißt das aber auch, sich im Extremfall jeden Tag an neue Leute anzupassen, herauszufinden, wie sie drauf sind, wie ihr Tagesablauf ist und welche Erwartungen sie an ihre Gäste haben.
Die westafrikanischen Kulturen haben sehr vieles gemeinsam, weswegen auch Loyal und ich immer mal wieder von „der“ afrikanischen Kultur oder Verhaltensweise sprechen, wenngleich man in Europa ja nur allzu gern dafür gerügt wird (interessanterweise häufig von Menschen, die selbst nur ein einzelnes afrikanisches Land kennen!) Aber trotz der vielen Gemeinsamkeiten gibt es in jeder Kultur doch etwas Eigenes, etwas, das anders ist als bei den anderen. Beim typischen traditionellen Gerichten lässt sich das ganz leicht herausfinden. Bei Verhaltensweisen ist das schon wieder etwas schwieriger. Erschwerend kommt hinzu, dass man nicht von „der“ guineischen oder „der“ ghanaischen Kultur sprechen kann. In jedem Staat gibt es die unterschiedlichen „Stämme“ (auch ein Wort, das Deutsche immer zu vermeiden versuchen), zu denen sich die Leute stark zugehörig fühlen. Allein ihre Sprache wechselt dadurch teilweise von einem Dorf zum anderen. Zu diesen kulturellen Unterschieden kommt der religiöse Einfluss. Je nachdem, ob eine Familie muslimisch oder christlich ist, muss man sich anders verhalten.
Loyal und ich versuchen immer unser bestes. Wir sind höflich. Zumindest unserer Vorstellung von Höflichkeit nach. Allerdings haben wir häufig das Gefühl, dass wir die an uns gestellten Erwartungen nicht erfüllen. Das gleiche gilt für Gastgeschenke: Wir vermeiden es, irgendjemandem Geld zu geben. Allerdings spüren wir immer mal wieder sehr stark den Druck, ein Geschenk geben zu „müssen“. Was ist nun angemessen? Sollte jeder etwas bekommen? Nur das Familienoberhaupt? Nur die Mama, die die ganze „Arbeit“ mit uns hatte? Nachdem wir einige Male unter großem Aufwand für alle Familienmitglieder gekocht und damit nicht den gewünschten „Erfolg“ gehabt haben (ich hatte das ja einmal ausführlich beschrieben), haben wir das mit dem Kochen aufgegeben. Inzwischen ist uns allgemein aufgefallen, dass Lebensmittel hier nicht besonders geschätzt werden, sogar dann nicht, wenn alle Kinder mit Hungerbäuchen herumlaufen.
Bei Rodophes Mama, Micheline, haben wir Obst gekauft und bereiten eine große Platte als Nachtisch für alle vor. Diese Platte tragen sie hinter uns her. Erst nachdem wir ihnen mehrfach gesagt haben, dass das Obst für alle ist, nimmt Mama Micheline ein Stückchen. Wir fühlen uns schlecht. Es kommt uns vor, als esse sie nur, um uns eine Freude zu machen. Damit wir uns gut fühlen. Ein Kind setzt sich bei Loyal auf den Schoß und isst genüsslich von der Platte – auch das wird nicht gerne gesehen. Bald wird das Mädchen fortgejagt. Wir sind ratlos. Am nächsten Tag laufen wir mit Mama Micheline über den Markt. Wir kommen an einer Bar vorbei, in der 5 Männer bei einem Bier sitzen. Wir grüßen, Mama Micheline unterhält sich kurz mit ihnen. Danach gehen Loyal und ich mit Rodolphes Schwester weiter, um Gemüse einzukaufen. Später ist Mama Micheline böse auf uns: „Ihr hättet die Männer auf jeden Fall auf ein Bier einladen müssen!“ „Aber wir kennen die Männer doch gar nicht und haben nicht einmal mit ihnen geredet“, zeige ich mich überrascht. „Ja, aber ich kenne sie. Was sollen die nun von mir und meinen Gästen denken? Sie reden nun über mich, dass nur ich von euch profitiere!“ Ich bin total verzweifelt. Ich bin wirklich in keiner Sekunde auf die Idee gekommen, diese Männer einzuladen. Loyal übrigens auch nicht. Abends, als Paule auf meinem Schoß liegt, sagt sie: „Ich finde Hunde übrigens schrecklich!“ Was soll ich mit diesem Kommentar anfangen? Heißt das, sie will eigentlich keinen Hund im Haus? Soll ich Paule lieber ins Auto bringen? Wir sind beide ratlos und wollen nur noch weg. Plötzlich ruft Rodolphe an: „Ihr habt eure Schuhe hier bei mir vergessen!“ Oh je, auch das noch. Nachts beschließen wir, uns schon früh am nächsten Morgen auf den Weg zurück nach Douala zu machen, um die Schuhe abzuholen. Wir haben das Gefühl, Rodolphes Mutter kann uns gar nicht leiden und wir sind in ihren Augen sehr unhöflich.
Als wir Rodolphe am Nachmittag von unseren Gefühlen erzählen, wundert er sich: „Ich habe schon mit meiner Mutter telefoniert. Sie ist traurig, dass ihr schon wieder gefahren seid. Sie hat nichts davon gesagt, dass irgendetwas nicht gut war!“ Scheinbar war alles doch weniger schlimm, als wir dachten.
Trotzdem sind wir in einer Krise: Auf der einen Seite wollen wir unsere Art zu reisen nicht aufgeben, denn so kommen wir den afrikanischen Kulturen am nächsten. Andererseits sind wir beide an unsere Grenze gestoßen und können nicht mehr. Nachdem wir bei Rodolphe ein Video-Telefonat mit unseren Freunden führen konnten, haben wir etwas Heimweh. Heimweh nach Menschen, die uns mögen und die uns und unsere Art als höflich empfinden. Uns ist aber auch bewusst, dass ein „Urlaub“ in Deutschland keine Lösung ist. „Vielleicht sollten wir einfach häufiger mal einen Campingplatz aufsuchen“, schlägt Loyal vor. „Wenn es hier überall Campingplätze gäbe“, meine ich resigniert, „Der letzte war in Ghana!“ Wir beschließen, nach Kribi an den Strand weiterzufahren und dort mindestens eine Nacht in einem Hotel zu bleiben. Dort, wo wir es niemandem recht machen müssen!

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